Amt und Kirchenleitung

Die altkatholische Kirche hält am sog. dreigliedrigen kirchlichen Amt fest, wie es sich in der Alten Kirche im Verlauf des 2. Jahrhunderts herausgebildet und bis zur Zeit der Reformation mit einer gewissen Konsistenz so gut wie überall durchgesetzt hat, auch ausserhalb der sog. Reichskirche. Angesichts reformatorischer Anfragen an die Schriftgemässheit – genauer der Bestreitung einer von der Schrift geforderten Heilsnotwendigkeit – der Ausdifferenzierung des Amtes in Episkopat, Presbyterat und Diakonat hat es immer auch Versuche altkatholischer Autoren gegeben, das, was durchaus als Grundentscheidung erst der Alten Kirche gesehen wurde, exegetisch und systematisch zu begründen. Eine direkte exegetische Begründung ist angesichts der schon erwähnten Diversität ekklesiologischer Ansätze in den neutestamentlichen Schriften wohl unmöglich, die Andeutungen in den Pastoralbriefen sind nicht eindeutig[1]. Das ist freilich für die altkatholische Theologie mit ihrer ekklesiologischen Programmatik, die kein striktes Schriftprinzip kennt, nicht so gravierend.

In systematischer Hinsicht ist folgende Überlegung erwähnenswert: Das für die Kirche und ihre Sendung konstitutive Amt hat seine Wurzel in der Beauftragung der Apostel durch Jesus Christus, und es setzt ihren Dienst dort fort, wo es nicht um den einmaligen, Fundament legenden Aspekt des Apostolats geht, also in der Verkündigung des Evangeliums einschliesslich der sakramentalen und pastoralen Aspekte im umfassenden Sinn. Dieses eine Amt ist auf die eine Kirche qua Ortskirche ausgerichtet (egal ob es sich um eine Ortskirche vom ursprünglichen Typ, nämlich einer Stadtgemeinde als einziger eucharistischer Gemeinschaft, handelt oder um eine Ortskirche mit einer Mehrzahl von Pfarrgemeinden), und eben dies kommt in dem einen Amtsträger zum Ausdruck, der herkömmlich mit “Bischof” bezeichnet wird. Das Amt hat aber auch einen kollegialen Charakter, und dies kommt im Kollegium der Presbyter zum Ausdruck (egal, ob diese ihre Aufgaben in einer einzigen Stadtgemeinde wahrnehmen oder in Pfarrgemeinden und dann auch stellvertretend die episkopale Funktion des Vorsitzes bei der Eucharistiefeier übernehmen). Die Repräsentation der Einheit und der Kollegialität des Amtes sind dann – theologisch gesehen – gleich ursprünglich und gleich notwendig. So kann auch die historisch gewachsene Differenzierung des Amtes in Episkopat und Presbyterat als ekklesiologisch sinnvoll betrachtet werden – vielleicht gar im Hinblick auf Einheit und Vielheit des dreieinen Gottes[2]. Schwieriger ist die Begründung dafür, dass auch der Diakonat zum ordinierten Amt gehört, für das die Altkatholiken gern den Ausdruck “apostolisches Amt” gebrauchen. War der Diakonat lange Zeit nur eine transitorische Durchgangsstufe für Kandidaten für die Priesterweihe, so hat es in den letzten Jahren von der IBK unterstützte Bestrebungen gegeben, den Diakonat als eigenständigen permanenten Dienst wiederzubeleben und ihm über die liturgischen Aufgaben hinaus auch solche pastoral-sozialer Art zu erschliessen.

Das kirchlich-apostolische Amt in seiner in Episkopat und Presbyterat (und Diakonat) ausdifferenzierten Form ist nun freilich in seiner Verbundenheit mit den nicht ordinierten Getauften zu sehen. Amtsträger und Laien werden unterschieden, aber sie stehen in einer vernetzten Gemeinschaft, wo es unterschiedliche Aufgaben, aber nicht Über- und Unterordnung im Sinn einer lehrenden und hörenden Kirche gibt. Wurde das altkatholische Reformanliegen der Mitverantwortung der Laien für das Geschehen von Kirche früher mit dem theologisch problematischen Stichwort “Demokratisierung” umschrieben, versuchen neuere Besinnungen – neben dem Konzept des allgemeinen Priestertums – eher von einem Miteinander nach dem Modell der Zuordnung von Jesus Christus und dem Heiligen Geist auszugehen. Wie die Amtsträger vorzüglich, aber nicht ausschliesslich Jesus Christus vertreten und seine und der Apostel Sendung weiterführen, so repräsentieren die Laien – natürlich ebenfalls nicht ausschliesslich – den Heiligen Geist, der sie u.a. erkennen lässt, ob und wie der Dienst der Amtsträger in der Sendung Christi bleibt (insofern liesse sich von einem allgemeinen “Laienamt” reden). Beide haben eine Verantwortung für die Verkündigung in der Kirche, die keine Seite an die andere abtreten oder der anderen Seite streitig machen kann. Im Konfliktfall muss solange im Gespräch ausgeharrt werden, bis sich eine gemeinsame Entscheidung gibt oder aber der Bruch der kirchlichen Gemeinschaft festgestellt wird. Es gibt nach diesem Ansatz in den Fragen, wo es um das Kirchesein geht, keinen hierarchischen oder demokratischen Entscheidungsmechanismus in dem Sinn, dass letztlich der Bischof bzw. der Klerus oder aber die Mehrheit (d.h. allenfalls die Laien) das Sagen hat.

Es gibt eine Reihe von Aufgaben in der Kirche, die faktisch nur Laien wahrnehmen, während bei anderen – etwa in Katechese, Seelsorge oder Diakonie – eine eindeutige Zuordnung zu Amt oder Laienschaft nicht sinnvoll erscheint. Wo die Sakramentenspendung impliziert ist, werden Träger und Trägerinnen des apostolischen Amtes in Anspruch genommen.

Die obige Sicht der Zuordnung von Amt und Laienschaft kommt auch im Geschehen der Ordination zum Ausdruck: Durch die Ordination, die strikt in einen eucharistischen Kontext hineingehört, wird die ganze Gemeinschaft in ihrer Strukturierung auf die Weitergabe des Glaubens und die Aufrechterhaltung der kirchlichen Gemeinschaft verpflichtet. Wenn in diesem Zusammenhang traditionellerweise von der Amtsgnade die Rede ist, so ist darunter nicht eine neue Einwohnung des Geistes in einer ordinierten Person zu verstehen, sondern die neue Beziehung des schon in Taufe und Firmung gegebenen Geistes auf den konkreten kirchlichen Auftrag[3].

In den altkatholischen Kirchen gibt es, wie erwähnt, generell Formen mehr oder weniger ausgeprägter Mitverantwortung nicht ordinierter Getaufter in synodalen Organen. Jede altkatholische Orts- oder. Nationalkirche hat eine Synode (Bistumssynode und Generalsynode), in der Laien als Delegierte der Pfarrgemeinden und Geistliche – entweder alle oder vom Klerus gewählte (die Laien sollen eine festgelegte Mehrheit bilden) – zusammen mit dem Bischof und einer Art von Exekutive der Synode (oft Synodalrat genannt) die inneren Aufgaben der Kirche bestimmen. Es gibt in den altkatholischen Kirchen relativ grosse Unterschiede, wie die gemeinsame episkopal-synodale Struktur im Einzelnen rechtlich geordnet wird. So hat z.B. in der altkatholischen Kirche der Niederlande die “Synode” genannte Institution (1919 eingeführt, seit 1951 in der heutigen Form) nur beratende Stimme, die Entscheidungen treffen die Bischöfe – seit 1982 im Rahmen eines kleinen Leitungsgremiums mit Geistlichen und Laien (“Collegiaal Bestuur”). Auch die Frequenz der Synoden (1-5 Jahre) ist unterschiedlich, was natürlich Rückwirkungen auf die Aufgabenverteilung zwischen Synodalrat und Synode hat.

Fragen, die den Glauben und damit die Identität der Kirche und die Gemeinschaft mit den andern Kirchen – zunächst einmal der Utrechter Union – berühren oder berühren können, verlangen freilich ein ganz besonderes Bewusstsein kirchlicher Verantwortung und überorts- oder nationalkirchlicher Beratung; hier kommt die IBK als erstes Organ der Gemeinschaft der Utrechter Union ins Spiel.

(Autor: Prof. Dr Urs von Arx, Bern)


[1] Bei einer Trennung von “Mitte der Schrift” und “Frühkatholizismus” ist dies sowieso kein Argument.
[2] H. Aldenhoven, 1982.
[3] P. Amiet, 1973.