Breiter Konsens und grosses Wohlwollen

Vom 1. bis 6. Oktober traf sich eine gemischte Kommission der Mar-Thoma-Kirche und der Altkatholischen Kirchen der Utrechter Union in St. Pölten/Österreich für die zweite theologische Konsultation im Rahmen der Prä-Dialogs der beiden Kirchen. Die Themen dieser Konsultation waren:

  • Das Verständnis von Schrift und Tradition in den beiden Kirchen (Referenten: Bischof Dr. Isaac Mar Philoxenos, Prof. Dr. Peter-Ben Smit)
  • Christologie (Referenten: Prof. Dr. K. G. Pothen, Pfr. Dr. Adrian Suter)
  • Das Gedächtnis der Verstorbenen und der Heiligen (Referent: Prof. Dr. Peter-Ben Smit)

Alle drei Themen waren neben anderen im letzten Jahr anlässlich der ersten Konsultation im Santhigiri Ashram, Alwaye/Indien, als Fragen festgehalten worden, die der weiteren Diskussion bedürften. Auch an der jetzigen zweiten theologischen Konsultation wurden die Haltungen der beiden Kirchen wie auch die gemeinsame Position in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten („St. Hippolytus Statement“). Der vorliegende Bericht stützt sich auf diese gemeinsame Erklärung, liegt aber in der alleinigen Verantwortung des Autors.

In allen drei Themenkreisen konnte weitgehender Konsens festgestellt werden. Wo es Differenzen zwischen den beiden Kirchen gibt, wurden diese ehrlich benannt, aber zugleich die Motive der je anderen Kirche für die abweichende Sicht zur Sprache gebracht und gewürdigt. Vorurteile und Befürchtungen, die Sicht des anderen könnte einer ungenügend reflektierten Theologie geschuldet sein, konnten rasch zerstreut werden. Keiner der festgestellten Unterschiede scheint nach Meinung der Kommission kirchentrennenden Charakter zu haben. Vielmehr hält die Kommission fest, dass die inspirierenden Vorträge und fruchtbaren Diskussionen nicht nur das gegenseitige Verständnis für die Theologie des anderen gefördert, sondern auch die gemeinsame Reflexion über die vielfältigen Reichtümer des Geheimnisses Gottes vertieft haben.

Im Themenkreis Schrift und Tradition konnte festgestellt werden, dass beide Kirchen die Schrift als erste Glaubensregel anerkennen, aus der alle kirchliche Tradition erwächst; zugleich ist ihnen aber die Auslegungsbedürftigkeit der Schrift für die Gegenwart bewusst. Die Schrift bedarf in jeder Generation der Inkulturation in den je eigenen Kontext. Dabei werden die Auslegungen früherer Generationen, insbesondere die Auslegungstradition der Alten Kirche, wie sie sich etwa bei den Kirchenvätern und in der Tradition der Konzilien zeigt, hoch geschätzt.

Im Alten Testament folgt die Mar-Thoma-Kirche dem hebräischen Kanon, während die altkatholischen Kirchen den Kanon der Septuaginta anerkennen. Da die Altkatholiken jedoch schon seit der ersten Unionskonferenz von 1874 in Bonn den hebräischen Schriften des Alten Testaments eine höhere Kanonizität zuschreiben als den so genannten „deuterokanonischen“ Schriften, wurde diesem Unterschied wenig Gewicht beigemessen.

Die Referate zur Christologie wurden mit besonderer Spannung erwartet, handelt es sich dabei doch um ein zentrales Thema, bei dem ein Konsens aufgrund der unterschiedlichen Tradition keineswegs auf der Hand liegt: Immerhin anerkennt die Mar-Thoma-Kirche nur drei ökumenische Konzilien, rezipiert aber das für die Christologie der altkatholischen Kirche so wichtige vierte ökumenische Konzil von Chalcedon nicht. Es konnte aber geklärt werden, dass diese Nicht-Rezeption keine Verwerfung impliziert – die Kirchen ostsyrischer Tradition, aus denen die Mar-Thoma-Kirche hervorgegangen ist, waren nicht am Konzil beteiligt, es bildete daher kein relevantes Element ihrer Überlieferung. Auch in den christologischen Kontroversen des fünften Jahrhunderts vor, um und nach Chalcedon hatten sie nie für eine der Konfliktparteien Position bezogen.

Inhaltlich konnte breite Übereinstimmung erzielt werden: Jesus Christus ist ganz göttlich und ganz menschlich, dabei aber ein Herr und Heiland, nicht zwei. Einseitige Christologien, welche die Göttlichkeit auf Kosten seiner Menschlichkeit betonen oder umgekehrt, sind abzulehnen. Ob man, wie die altkatholische Theologie, als Interpretation von Chalcedon zu diesem Schluss kommt, oder, wie die Mar-Thoma-Kirche, unabhängig von Chalcedon, ist demgegenüber zweitrangig.

Im Kontext der Christologie wurde auch die Mariologie behandelt. Die Mar-Thoma-Kirche praktiziert keine Marienverehrung – entsprechende Praktiken wurden im Zuge einer Reformation im 19. Jahrhundert aufgrund von früherer übertriebener und als missbräuchlich empfundener Marienverehrung abgeschafft. Es wird jedoch Maria als Mutter des Herrn in sehr respektvoller Weise gedacht. – Altkatholische Marienverehrung ist stets christologisch motiviert: Maria wurde der Segen zuteil, den Herrn zu gebären, und sie nimmt den Willen Gottes gläubig an. Die Mar-Thoma-Delegierten teilen diese theologische Einschätzung und sind zur Überzeugung gelangt, dass die so dargestellte altkatholische Marienverehrung theologisch qualifiziert ist und missbräuchliche Übertreibungen vermeidet. Beide Kirchen lehnen es ab, Maria einen eigenständigen soteriologischen Status (zum Beispiel als Mit-Erlöserin) zuzuschreiben.

Wie Marienverehrung, so wird auch Heiligenverehrung in der Mar-Thoma-Kirche nicht praktiziert. Ebenso vermeidet man das Gebet für Verstorbene. Hingegen teilt die Mar-Thoma-Kirche die altkatholische Sicht, dass die Kirche eine Gemeinschaft der Gläubigen auch über den Tod hinaus darstellt, und kennt das Gedächtnis und die Wertschätzung der Heiligen als Vorbilder. – Altkatholische Gebete für Verstorbene wollen vor allem diese Gemeinschaft über den Tod hinaus unterstreichen; das Gebet, den Verstobenen Ruhe zu schenken, schränkt Gottes freie Gnadenwahl nicht ein. Auch die Bitte an Heilige um ihre Fürbitte bei Gott will die Gemeinschaft aller am Leib Christi unterstreichen. Der Gedanke, dass Gebete von Heiligen wirksamer seien, oder dass die Heiligen gar eigenständige Heilsvermittler seien, unabhängig von Christus und gleich seiner anbetungswürdig, ist altkatholischer Theologie und Frömmigkeit völlig fremd. Lehren und Praktiken dieser Art werden von beiden Kirchen gleichermassen abgelehnt. So ist die Kommission auch in diesem Punkt zur Überzeugung gelangt, dass die Lehre und Praxis, wenn auch in Einzelheiten unterschiedlich, doch in beiden Kirchen schriftgemäss und legitim sei.

Die theologischen Gespräche waren eingebettet in gemeinsame Morgen- und Abendgebete und Schriftlesungen. Am Freitag wurde die Eucharistie in der Pfarrkirche St. Pölten gefeiert, unter der Leitung von Bischof Dr. John Okoro, dem Co-Vorsitzenden der Kommission. Ein Ausflug ins Stift Melk rundete das Programm ab und ermöglichte den Gästen aus Indien einen Einblick in die lokale christliche Tradition und Spiritualität. Die Gastfreundschaft der Altkatholischen Kirche Österreichs und des Bildungshauses St. Hippolytus in St. Pölten sowie die reibungslose Organisation wurden sehr geschätzt.

Festzuhalten bleibt zum Schluss dieser zweiten Konsultation das grosse Wohlwollen, das sich die Delegierten beider Kirchen entgegenbrachten, und das beidseitige Interesse, die Beziehungen zu vertiefen. Delegierte waren für die Mar-Thoma Kirche der Suffraganmetropolit Bischof Dr. Zacharias Mar Theophilus, Bischof Dr. Isaac Mar Philoxenos und Prof. Dr. K. G. Pothen; und für die Altkatholischen Kirchen der Utrechter Union Bischof Dr. John Okoro (Österreich), Prof. Dr. Peter-Ben Smit (Niederlande) und Pfr. Dr. Adrian Suter (Schweiz). Die dritte theologische Konsultation findet vom 21. bis 28. November 2013 in Indien statt. Die altkatholischen Delegierten werden Gelegenheit haben, einen Tag an der Geistlichenkonferenz der Mar-Thoma-Kirche teilzunehmen.

Pfr. Dr. Adrian Suter

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